Historische Übersicht

Die Sammlung wurde seit 1990 kontinuierlich aufgebaut und enthält neben einer Vielzahl verschiedener Möbeltypen auch originale Dokumente wie Kataloge, Plakate, Anzeigen und ein umfangreiches Archiv zu allen Aspekten der Bugholzgeschichte. Der Zeitraum, den die Sammlung repräsentiert, reicht mittlerweile bis in die 1950er Jahre.

Als Höhepunkte der Sammlung dürfen zwei Parkettmustertafeln der "Gebrüder Thonet" und ein kleiner Tisch mit schichtverleimter, spiralförmig gewundener Säule, auf dessen Platte sich ein Parkettmuster "en miniature" befindet, bezeichnet werden.

Die frühen Möbel der Firma Gebrüder Thonet und der Konkurrenten bilden einen weiteren Hauptteil der Sammlung. Neben schichtverleimten Exemplaren sind auch die frühesten, massiv gebogenen Modelle zu finden, die vor allem durch ihre unvergleichliche Eleganz und Grazilität beeindrucken. Gerade der Übergang der Produktion von den noch vollständig in Schichtholztechnik hergestellten Stühlen zu den ersten massiv und schließlich vollständig massiv gebogenen Modellen lassen die Leistung Michael Thonets deutlich werden. Bugholzgeschichte wird so lebendig.


Frühe Möbel

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Die Wiener Konkurrenten

Neben den frühen Möbeln aus der Werkstatt Michael Thonets finden sich in der Sammlung auch eine ganze Reihe von Konkurrenzprodukten Wiener Tischler. Interessant sind die Möbel dieser Firmen, da sie sowohl aus massiven, aus dem Holz geschnittenen, als auch aus schichtverleimten Teilen bestehen. Das Biegen massiven Holzes war durch ein Patent der Firma "Gebrüder Thonet" von 1856 bis 1869 geschützt, so dass die Konkurrenzfirmen bis 1869 gezwungen waren, entweder in den bekannten und traditionellen Herstellungsverfahren oder in der Technik der Schichtverleimung zu produzieren. Die meisten der frühen Konkurrenten mussten in den 1870 -80er Jahren wegen des mittlerweile "veralteten", nicht mehr wirtschaftlichen Herstellungsverfahrens die Produktion einstellen.


Das Plakat von 1867

Zu der Sammlung gehören auch zwei Tischuntergestelle der späteren Modellnummer 5, deren Füße aus fünf massiv gebogenen und anschließend verleimten Teilen bestehen. Sie zeigen, dass sich die Bemühungen Michael Thonets auch nach 1855 nicht allein auf die Schaffung von Sitzmöbeln konzentrierten, sondern auch schon früh andere Möbeltypen betrafen.

Dieses Sortiment verschiedener Möbeltypen wurde, nachdem man Anfang der 1860 Jahre in der Lage war, alle möglichen Biegungen vollständig massiv auszuführen, kontinuierlich erweitert. In der Kollektion befindet sich auch ein Originalplakat aus dem Jahr 1867, welches die zu dieser Zeit produzierten Modelle zeigt.

Neben den "klassischen" Sitzmöbeln - Sessel, Fauteuil und Canapé - sind auf diesem Plakat auch Schaukel- und Kaminmöbel, "Damenfauteuil" und "Drehstockerl" abgebildet. Alle Stücke sind eindeutig gekennzeichnet, so dass es bei den Bestellungen keine Missverständnisse geben konnte.

Die Verkaufsplakate erscheinen in den folgenden Jahren mit einer immer größer werdenden Anzahl von Modellen. Sie dienen nicht einer kompletten Modellübersicht, sondern präsentieren in einer graphisch ansprechenden und ausgewogenen Form einen Teil des Modellprogramms der Firma "Gebrüder Thonet". 1879 erscheint dann - soweit bis heute bekannt - das erste "Musteralbum".

Thonet im Historismus

Michael Thonet stirbt am 3. März 1871 in Wien. Zu dieser Zeit bestehen bereits drei Fabriken mit zahlreichen eigenen Zulieferbetrieben. Entstanden die Produktionsstätten in Koritschan (1856), in Bistritz (1861), in Groß - Ugrocz (1866), in Hallenkau (1868) und in Wsetin (1872) unter Berücksichtigung der dortigen Holzvorkommen, so sind für die Entstehung der Fabriken in Nowo Radomsk (1880) und Frankenberg (1889) auch handelspolitische Gründe ausschlaggebend. Rußland und Deutschland hatten zum Schutz ihrer eigenen Industrie Einfuhrzölle auf ins Land kommende Waren gelegt. Um sich diese Märkte zu erhalten, gründet Thonet in diesen Ländern nun eigene Fabriken.

Die Modellpalette wird kontinuierlich erweitert. Wurden in den ersten Jahren vor allem Möbel für die Bestuhlung öffentlicher Räume wie Cafes, Restaurants, später auch Büros und Warteräume angeboten, so wird das Angebot nun auf den Bereich der Wohnmöbel erweitert. Doch gerade hier verlangt der Zeitgeschmack neue Modelle für ein aufstrebendes und zu Wohlstand gekommenes Bürgertum. In Wien erweist sich die „Ringstraßenarchitektur“ als tonangebend auch für die Innenraumgestaltung. Nicht mehr die „mageren Stäbe“ sollen es sein, sondern historisierende Formen mit Kannelierungen, möglichst bronziert, um den Möbeln ein reicheres Aussehen zu geben, werden verlangt.

Auch die Firma „Gebrüder Thonet“ kann sich diesen Entwicklungen nicht entziehen. Gegen den Historismus hat sie keine Chancen und: Sie versteht sich in erster Linie als ein profitables Wirtschaftsunternehmen und nicht als ein Unternehmen, das die Menschen zu einem besseren Geschmack erziehen will. Man liefert, was der Markt verlangt. Auch ihre Möbel folgen dem Zeitgeschmack, imitieren Stile - neogotisch, neobarock - sind selbst nicht stilbildend.

Der Einbruch historisierender Formen in die Produktion lässt sich am Anfang der 1880iger Jahre beobachten. In dem Supplement des Katalogs von 1883 tauchen zum ersten Mal Sessel und Fauteuils mit gedrechselten Vorderbeinen auf. Ins gleiche Jahr fällt die Herstellung einer vollständigen Garnitur „Gothische Form“, die stilistisch der Weltaustellungsgruppe von 1862, spätere Modelnummer 16 nachempfunden ist.

Und doch hat die Firma Ende des 19. und Anfang des 20 Jahrhunderts Modelle geschaffen, die sich durch eine gewisse Extravaganz in der Form aber auch technisch innovative Lösungen auszeichnen: Sie zeigen spezielle, sehr aufwendige Beinverbindungen; wellenförmig gestaltete, rechteckige Beine und Rücklehnholme, Seitenrahmensessel mit Vorderbeinlösungen, welche an die Bopparder mit den Schlaufenbeinen erinnern und für deren Sitzfläche man nun eine Kombination aus Sperrholz und Geflecht derart verwendet, dass man eine Sperrholzplatte ausschneidet, die dann als Rahmen für das Geflecht verwendet wird. Es gibt leider keinerlei weitere Informationen zu diesen Modellen. Es ist zu vermuten, dass es sich um Einzelstücke, möglicherwiese Prototypen handelt, die so nie in den Katalogen angeboten wurden. Dort finden wir dann Sessel und Fauteuil in vereinfachter Ausführung, deren Verwandtschaft mit diesen sowohl in Form als auch Konstruktion allerdings offensichtlich ist.

Historismus Galerie

In der Ausstellung "Möbeldesign- Roentgen Thonet und die Moderne" wurden einige der in der „Historismus-Galerie“ gezeigten Möbel als Installation präsentiert. Sie stellen eine Werbeanzeige aus dem Jahr 1865 nach, die einen Querschnitt der Thonetschen Produktion aus dieser Zeit zeigt. Das Massengeschäft mit Möbeln für den öffentlichen Bereich stellte unzweifelhaft die Haupteinnahmequelle der Firma dar, doch wollte man auch den häuslichen Bereich der bürgerlichen Mittelklasse mit Bugholzerzeugnissen ausstatten. Bereits 1860 baute man den ersten Schaukelstuhl aus Bugholz. Die Vorbilder dafür kommen aus England und konnten aus statischen Gründen bis dahin nur ausschließlich in Metall gefertigt werden. Bei den Sitzmöbeln wurden neben sehr leichten und eleganten Entwürfen wie einem Damenfauteuil oder einem Klappfauteuil auch schwere und repräsentative Sitzmöbel gefertigt: Fauteuil Nr. 16 und das dazu passende Kanapee mit gleicher Modellnummer. Beider Rückenform erinnert an gotische Kirchenfenster, weshalb sie in der internen Kommunikation der Firma auch die Bezeichnung "gothische“ Sessel oder Fauteuils erhielten.

Das „Stockerl“ ist ein praktisches Möbel; die ersten dieser Art entstanden schon Anfang der 1860er Jahre ebenso wie der unter dem Kanapee stehende Fußschemel.

Jedoch nicht nur Sitzmöbel wurden angeboten. Tische waren bereits in der zweiten Hälfte der 1850er Jahre im Programm. Der Salontisch Nr.5 ist mit seinen zahlreichen Schmuckmotiven einer der eindrucksvollsten. Später kamen weitere prächtige Möbel hinzu, welche auf der einen Seite die Vorliebe des Historismus für ornamentale, reich verzierte Formen belegen, auf der anderen Seite aber auch die Möglichkeiten des Biegens von Holz eindrucksvoll demonstrieren. Beispielhaft dafür steht der Standspiegel „Psyche“.

Historismus-Galerie

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August Thonet

Schaukelsofa 7500, frühe Ausführung ohne Armlehnen
Schaukelsofa 7500, frühe Ausführung ohne Armlehnen

In diese Zeit fällt auch das Wirken August Thonets, des drittältesten Sohnes von Michael Thonet. August, der ab 1869 die Fabrik in Bistritz leitet, gibt als Techniker und Konstrukteur entscheidende Impulse für die Entwicklung neuer Modelle. Seinem technischen und konstruktiven Verständnis verdanken wir eine Reihe von "Versuchsstühlen". Er entwickelt - gegen den herrschenden Geschmack eines aufstrebenden und zu Wohlstand gekommenen Bürgertums - anspruchsvolle und innovative Möbel, experimentelle Einzelstücke, die ihrer Zeit zu weit voraus sind, als dass sie ein kommerzieller Erfolg hätten werden können. Die in der Kollektion gezeigten Modellnummern 51 und 91 sind mit großer Wahrscheinlichkeit ebenso unter August Thonets Regie entstanden wie das von vielen als elegantester Bugholzentwurf bezeichnete Schaukelsofa Nr.7500. Das Schaukelsofa ist in der Sammlung in beiden Ausführungen: mit und ohne Armlehnen zu sehen.

Die Wiener Seccession

Nach einer Zeit, in der vorwiegend Stilimitate die Möbelentwürfe der großen Bugholzhersteller geprägt hatten, entsteht um 1900 eine Bewegung, die unter dem Begriff „Jugendstil“ oder „Reformbewegung um 1900“ bekannt geworden ist. Die Architekten der Wiener Sezession entdecken neue Ausdrucksmöglichkeiten des gebogenen Holzes und besinnen sich auf dessen ursprüngliche Qualitäten. Dekoratives wird reduziert und die Linie wird wieder betont; nicht jedoch die fließende Linie der frühen in ihren Durchmessern an- und abschwellenden Rundstäbe, sondern ein sich an Kubus und Quadrat orientierendes Formenrepertoire wird entwickelt. Es entstehen so eine Reihe neuartiger Möbeln, die als Ikonen der Wiener Moderne heute ihren festen Platz in der Designgeschichte haben. Bedingung der Möglichkeit dieser neuen Möbelformen in Bugholz waren zwei technische Neuerungen: Einmal das Biegen rechteckiger Holzquerschnitte, zum anderen die Möglichkeit rechtwinkliger Biegungen, wodurch die strengen Formen entsprechend den Ideen des "funktionalen" (Wichmann) Wiener Jugendstils möglich wurden. Die Frage ob Thonet oder Kohn erstmals rechteckige Stäbe gebogen haben, lässt sich heute nicht mehr beantworten. Die "Erfindung" der rechtwinkligen Biegung geht aber sicher auf "J. & J. Kohn" zurück: Auf der Innenseite der beabsichtigten rechtwinkligen Biegung wurde ein dreieckiges Stück Holz herausgeschnitten. Es blieb nur noch etwa ein Drittel der ursprünglichen Stärke stehen. Bei dem Biegevorgang kamen die beiden Schnittseiten wieder zusammen. Nach der Trocknung wurde diese Biegung zusätzlich noch verleimt und mit einem Dübel gesichert. (siehe Abbildung)

Hier ist es aber nun nicht die Firma „Gebrüder Thonet“ sondern "J. & J. Kohn", die die führende Rolle übernimmt, „weil sie das innovative und ökonomische Potential in dem neuen Wiener Avantgarde Design sah.“ (L. Hevesi). In der zeitgenössischen Beurteilung wird die unterschiedliche Stellenwert/Qualität der Entwürfe beider Firmen deutlich: "Jakob und Josef Kohn verdanken wir die originellen Formen ihrer Möbel dem Einfluß Professor J. Hoffmanns, während die mehr konventionellen, aber tüchtigen Formen der Gebrüder Thonet von […] M. Kammerer entworfen sind." Bereits 1899 stellte die Firma J.&J. Kohn den damals 19 jährigen Gustav Siegel als Leiter des firmeneigenen Entwurfsbüros ein; die Entwürfe der führenden Köpfe des Wiener Kunstfrühlings werden ausnahmslos von Kohn ausgeführt; Thonet beschäftigt nur die Schüler, die wie wir es bei Marcel Kammerer und Otto Prutscher sehen, in ihren Versuchen, die Entwürfe der Meister zu imitieren oder gar zu verbessern, scheiterten.

Bereits 1899 stellt Felix Kohn den damals 19 jährigen Gustav Siegel als Leiter eines firmeneigenen Entwurfsbüros ein. Auf der Weihnachtsausstellung des niederösterreichischen Gewerbevereins im gleichen Jahr werden wahrscheinlich schon einige der Möbel gezeigt, die später zur Weltausstellung nach Paris gehen sollten. Die Firma Thonet, immer noch dem Geist des Historismus verhaftet, zeigt auf der gleichen Ausstellung vier Fauteuils „ nach englischem Originale“. Bei der Weltausstellung in Paris 1900 werden die neuen Möbel der Firma Kohn zum ersten Mal in einem ebenfalls von Gustav Siegel entworfenen Raumdesign einem internationalen Publikum präsentiert. Die Ausstellung wird ein voller Erfolg. Das herausragende Merkmal der gezeigten Möbel sind neben der neuen, klaren Linienführung die rechteckigen Holzquerschnitte und die Verwendung von Messing an den Stuhlbeinen. Während Kritiker bei den Möbeln der Gebrüder Thonet beklagen, dass „ihre Gegenstände recht viel zu wünschen übrig lassen“, werden das Speisezimmer und besonders der Schlafraum der Firma J.&J. Kohn als „umso feiner und geschmackvoller“ beschrieben.(L. Abels, Pariser Weltausstellung 1900) Die Kritiker in Wien bescheinigen dem Bugholzmöbel „eine neue Zukunft“: „Seitdem sind die Möbel veredelt, vervolkommnet, sie haben einen neuen Sinn, eine neue Eleganz erhalten.“ (Ludwig Hevesi, 1901). Der von Gustav Siegel für die Weltausstellung entworfene Fauteuil ist das erste Bugholzmöbel, das sich dieser am weitesten entwickelten Technik bedient und damit eine neue Formensprache schafft. Für den in Paris vorgestellten Armlehnsessel sind - neben den Beinaussteifungen - lediglich drei Bauteile nötig. Es entspricht vollkommen dem, wie Robert Oerley es für ein modernes Möbel fordert: "Ein den Anforderungen des Gebrauchs vollkommen entsprechendes Möbel, welches hinsichtlich des gewählten Materials und der Bearbeitung den letzten Errungenschaften der Technik entspricht und im Geiste der lebenden Kunst ausgebildet wurde, ist modern."

Siegels Idee, ein einziges Bugholzteil für Vorderbeine, Armlehnen und Rückenlehne zu verwenden, wurde von Otto Wagner für den Fauteuil für das Depeschenbüro "Die Zeit" (1902) und die Armlehnsessel für die Postsparkasse (1904) wieder aufgegriffen. Otto Wagner ist der einzige Architekt, dessen Entwürfe sowohl von Thonet als auch von Kohn ausgeführt wurden. Dies hat seinen Grund darin, dass sowohl die Fertigung von Teilen der Einrichtung des Depeschenbüros "Die Zeit" als auch später der "Postsparkasse" keine direkten Aufträge Wagners an die beiden Bugholzfirmen waren, sondern die Bauherren die Aufträge möglichst "konfliktfrei" vergeben wollten. Die „Gebrüder Thonet“ kamen durch diese Aufträge nun aber erstmals in Kontakt zur „Wiener Avantgarde“. Marcel Kammerer, ein Mitarbeiter Otto Wagners, und Otto Prutscher, Schüler von Josef Hoffmann, lieferten in den folgenden Jahren die meisten und für die Firma wichtigsten Entwürfe. Andere Architekten wie Leopold Bauer, Josef Urban, Jan Kotěra oder Peter Behrens entwarfen nur ein oder zwei Modelle für die "Gebrüder Thonet".

Marcel Kammerer

Marcel Kammerer, Fauteuil 6534
Marcel Kammerer, Fauteuil 6534

Marcel Kammerer war im 20. Jahrhundert der erste "Designer" für Thonet. 1905 richtete er auf der Austrian Exhibition in London für die "Gebrüder Thonet" einen mit Bugholzmöbeln ausgestatteten Leseraum ein. Doch keines der dort gezeigten Möbel wurde in Serie produziert.

Anders verhält es sich mit Kammerers Möbeln für einen Warteraum, welcher auf der 23. Sezessionsausstellung 1905 präsentiert wurde. Offensichtlich gab es in der gleichen Art noch eine Garderobe, die wir allerdings nur von einer Abbildung kennen.(siehe Abbildung Macaux) Es ist zu vermuten, dass sie aus dem gleichen Jahr stammt. Tischchen und Blumenständer wurden in wesentlich vereinfachter Ausführung im Zentralanzeiger vorgestellt und 1907 im II Supplement zum Hauptkatalog 1904 in das allgemeine Programm aufgenommen. Es sind durchaus originelle Möbel, charakterisiert durch eine Art ineinander gestellter gleichartiger rechtwinkliger U-förmiger Bögen, deren Verschraubung durch Messingkappen abgedeckt wird. 1908 war Kammerer mit dem Erweiterungsbau für das Hotel Wiesler in Graz beauftragt, wofür er einen Sessel schuf, der bei Thonet unter der Nr. 414 ins Programm aufgenommen wurde. Wir finden weitere Entwürfe Kammerers, welche in verschiedenen Ausgaben der Zeitschrift "Das Interieur" abgebildet sind, doch keine davon war richtungswegweisend in der Folgezeit.

Die ganze Problematik der Entwürfe der Schüler lässt sich an einer Garnitur festmachen, die Thonet im 1911er Katalog unter der Nr.761 anbietet; als "Veranda-Garnitur" erhält sie die Nr.11. Diese Gruppe orientiert sich ganz eindeutig an einem Hoffmann Entwurf für Kohn. Die Abstände der bei Hoffmann von der Rückenlehne/Armlehne geradlinig nach unten durchlaufenden Stäbe werden bei Kammerer größer; zusätzlich erhalten sie auf Höhe des Sitzes noch eine leichte Biegung nach außen. Drei Jahre später heißt es im Zentralanzeiger vom 1. Juni 1914 lapidar: "Die Garnituren Nr. 761-764 haben wir, mehrseitigen Wünschen entsprechend, dahin rekonstruiert, daß die Fauteuils und Kanapees statt gebogener gerade Vorderfüße erhalten und die Lehnfüße der Sessel, Fauteuils und Kanapees eine viele geringere Ausladung also ein gerade Stellung bekommen: Infolge dieser Änderungen […] haben nun diese Möbel ein viel vorteilhafteres Aussehen." Dieses "vorteilhaftere" Aussehen entspricht nun aber exakt dem Vorbild: der Hoffmann Garnitur Nr. 729, schon seit Jahren hergestellt von Firma J.&J. Kohn.

Otto Prutscher

Otto Prutscher, Fauteuil A845
Otto Prutscher, Fauteuil A845

Otto Prutscher hat im Bugholzmöbelbereich ausschließlich für die Firma „Gebrüder Thonet“ gearbeitet und ist einer der wenigen Architekten, bei dem sich Firmenunterlagen erhalten haben, die seine Autorenschaft eindeutig belegen. Bekannt sind Prutschers Arbeiten für die Internationale Baufachausstellung 1913 in Leipzig, die Ausstellung des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie auf der Werkbundausstellung 1914 in Köln und seine Umbauten für das Café Heinrichshof in Wien 1911 mit der entsprechenden Möblierung; es gibt weitere Sessel, Fauteuils und Tische, die Prutscher für Thonet entworfen hat.In Leipzig werden repräsentative, eher auf Empire und Biedermeier verweisende Möbel, in Köln ein reichgeschnitzter eichener Sessel, der Tendenzen des Art Deco vorwegnimmt, wie sie für den Spätstil der Wiener Werkstätte typisch sind, gezeigt. Die Lederfauteuils, die Otto Prutscher für die Villa Rothberger in Baden entworfen hat, gehen bei Thonet unter der Nr.6529 in Serie.

Im Zentralanzeiger finden sich eine Reihe von Stühlen, ja sogar Schirmständern, als deren Entwerfer Prutscher explizit genannt wird. in Tschechischen Archiven fanden sich Karteikarten, auf denen die Möbel abgebildet sind und eindeutig als Entwurf von Otto Prutscher beschrieben werden. Leider findet sich in diesen Unterlagen keine Abbildung des rechts abgebildeten Fauteuils Nr. A 845, doch weist er eine Reihe von Merkmalen auf, die es vermuten lassen, dass es sich um einen Entwurf Prutschers handelt.

Wiener Sezession

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Bugholz in den 1920er Jahren

Bevor wir uns mit Modellen aus den 1920er Jahren beschäftigen, ist es notwendig, einen kurzen Blick auf die Lage der Bugholzmöbelindustrie zu dieser Zeit zu werfen. Vieles hatte sich während des und nach dem Krieg geändert. Leopold Pilzer, ein Unternehmer aus Galizien, hatte bereits 1907 eine Aktiengesellschaft, MUNDUS, gegründet, zu der anfangs sechs eher unbedeutende Bugholzmöbelfirmen gehörten: Josef Jaworek Teschen, Rudolf Weil & Co. Buczkowice, Friedrich Flaschner Bodenbach, Rudolf Lazar Niemes, J. Sommer Mährisch-Weiskirchen, und Josef Hofmann Nachf. Bielsko. Im Lauf der folgenden Jahre kamen noch weitere Hersteller zu der Holding hinzu. 1917 gelang es Pilzer mit Hilfe eines Bankenkonsortium unter der Leitung der österreichischen Creditanstalt alle Anteile der bereits 1901 in die" Erste Österreichische Actien-Gesellschaft zur Erzeugung von Möbeln aus gebogenem Holze JACOB & JOSEF KOHN" umgewandelten Firma zu kaufen. 1920, nach Auflösung der Österreichisch Ungarischen Monarchie, wird in Zürich eine zentrale, übernationale Mundus Aktiengesellschaft gegründet, in der wiederum alle nationalen Mundus Gesellschaften zusammengefasst werden.

Die „Gebrüder Thonet“, bis zu diesem Zeitpunkt immer noch im Familienbesitz, versuchen weiterhin, eigenständig zu bleiben. Das Problem war, dass nach dem Krieg alle Produktionsstätten im Ausland lagen, die Firmenzentrale sich aber immer noch in Wien befand. Aufgrund vermutlich damit einhergehender und auch anderer finanzieller Probleme kam es 1921 bei den Thonets ebenfalls zu einer Änderung der Gesellschaftsform: Aus der Firma "Gebrüder Thonet" wurde die "Thonet A.G.".

Bereits drei Jahre später wird aber auch die Thonet A.G. von Mundus-Kohn übernommen und in "THONET-MUNDUS, Vereinigte Tschechoslowakische Bugholzmöbelfabriken, Aktiengesellschaft" umbenannt. Damit entsteht einer der größten internationalen Möbelkonzerne, die „Mundus- Allgemeine Handels- und Industrie-Gesellschaft“. Die Gebrüder Thonet und J.&J. Kohn produzieren weiterhin unter ihrem alten Namen und die Familie Thonet selbst hält einen Anteil von 50% an der Mundus AG, stellt auch die Geschäftsleitung, kann es jedoch nicht verhindern, dass das ehemalige Familienunternehmen in eigenständige nationale Gesellschaften in Österreich, Deutschland und der Tschechoslowakei umgewandelt wird. 1933 kann Leopold Pilzer alle Aktien der Credit-Anstalt aufkaufen und hat damit nun endgültig die alleinige Leitung der Mundus AG.

Wie sehen die Modelle in den 1920er Jahren aus. Zusammenfassend kann man sagen: Sie konnten nicht wirklich befriedigen. Indiz, dass dies auch den Bugholzmöbelherstellern nicht verborgen blieb, ist ein Preisausschreiben 1929 bei der Wiener Kunstgewerbeschule. "Die Aufgabe war: unter Heranziehung kurzer Teile, möglichst originelle Lehnformen zu schaffen. Das Resultat dieses Preisausschreibens war eigentlich nicht ganz so, wie wir es erwartet hatten. Immerhin kann den drei Typen, die wir heute publizieren und die mit einem Preis ausgezeichnet wurden, eine gewisse Originalität nicht abgesprochen werden. Besonders gut gelungen scheint und die Type A 457 zu sein“, heißt es dazu im ZentralanzeigerNr.98 von März 1929. Die beiden anderen Modelle, die man übernahm, waren A 112 und A 771.

Auf der Suche nach "neuen Klassikern" versuchte man es 1929 mit einem weiteren Wettbewerb, diesmal auf internationaler Ebene. Es sollten Modelle sein, „die der heutigen Geschmacksrichtung entsprechen, serienmäßig unter weitester Verwendung von Buchenholz und Sperrholz herstellbar sind und auf breiter Basis verkauft werden können.“ Ebenso beispielhaft auch der Ausgang des Wettbewerb, bei dem mehr als 4.000 tausend Entwürfe eingereicht wurden: Die Jury, der so prominente Entwerfer wie Pierre Jeanneret, Gerrit Rietveld, Adolf Schneck, Gustav Siegel und Josef Frank angehörten, kam in dem Protokoll der abschließenden Sitzung zu folgender Bewertung: „… nichts ganz Hervorragendes wurde unter den Einsendungen gefunden“, und Ferdinand Kramer formulierte lapidar: „Das Festival des Wiener Sessels war vorüber“.

Schaut man sich die in dieser Zeit neu entworfenen Modelle an, so ist ein Einfluss der Stahlrohrmöbel offensichtlich. Es werden keine an- oder abschwellenden Holzquerschnitte, elliptische oder rechteckige Hölzer verwendet, sondern gleichmäßig runde. Adolf Schneck (1883-1971) entwirft 1925 seinen Armlehnfauteuil A 64/F im gleichen Jahr, in dem Marcel Breuer den seinen "Stahlrohrklubsessel", den B3 bauen lässt. Ferdinand Kramer (1898-1985) entwirft 1927 seinen Frankfurter Stuhl B 403. Josef Frank (1885-1967) stellt seinen Armlehnsessel A 63/F auf der Werkbundausstellung 1929 in Wien vor. Im gleichen Jahr entwirft Adolf Schneck den Sessel A 283.

Ein ebenfalls interessanter Entwurf ist Modell A 821/F von Eberhard Kraus. Auffallend ist die große Rückenlehne, was dem Sitzkomfort jedoch sehr zugute kommt. Wie bei vielen der Modelle aus den 1930er Jahren haben wir auch hier eine reduzierte Sitzhöhe von lediglich 38 Zentimetern, was auf die Verwendung als Salonmöbel hinweist.

Josef Hoffmann entwarf 1930 das Modell A 811/F. Im „Thonetschen Zentralanzeiger“ Nr. 104 vom Dezember 1930 lesen wir dazu: „A 811, A 811 F, A 811/1 und A 811/1 F. Eine sehr interessante ungemein bequeme Neuheit, die von Professor Hoffmann für die heuer im Sommer in Wien stattgefundene Werkbundausstellung geschaffen wurde“.

Dieser letzte Stuhl Hoffmanns wurde in zwei Varianten hergestellt: Sitz und Rückenlehne geflochten oder mit Sperrholzsitz und -rückenlehne, diese mit zwölf, symmetrisch angeordneten runden Löchern mit einem Durchmesser von jeweils sechs Zentimetern.

Architektenentwürfe 1920er Jahre

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